American Football: Die Minden Wolves setzen sich auch dank seines Rückkehrers mit 20:0 bei den Troisdorf Jets durch
April 2023, Minden, Weserstadion. Es ist mucksmäuschenstill. Die Fans halten inne, die Spieler beider Teams knieen. Die Stimmung ist auf einen Schlag dahin, absolute Stille. Drei Spieler der Düsseldorf Panther sind beim Versuch RayShon Fletcher zu stoppen, unglücklich auf ihn gefallen. Der Amerikaner krümmt sich am Boden liegend. Die Ärzte stürzen auf das Feld, wenig später die Sanitäter mit einer Trage. Kurze Zeit später ist der Fletcher im Mindener Klinikum, wo er noch am Abend operiert wird.
Es ist der Auftakt einer Vielzahl an Eingriffen, die der Receiver über sich ergehen lassen muss. 16 Operationen sind es am Ende, darunter eine Nerventransplantation in Quakenbrück. Das rechte Knie – es ist komplett kaputt. Die Minden Wolves stehen aber zu ihrem Spieler aus den USA, so wie sie auch zu den anderen „Imports“ stehen. Absicherung ist für sie eine Selbstverständlichkeit, eine Verpflichtung. Das sorgt dafür, dass RayShon Fletcher in Deutschland verbleiben und die bestmögliche Behandlung erhalten kann. „In den USA hätte er das alles aus eigener Tasche bezahlen müssen. Das wäre in die Millionen gegangen. Zwei bis drei wären es wohl gewesen. Hier lief alles über die Berufsgenossenschaft“, hebt Sportdirektor Volker Krusche noch einmal hervor, dass sich die Spieler aus dem Ausland an der Weser sehr gut aufgehoben fühlen dürfen.
Ungeachtet dessen wählt Fletcher im Mai vergangenen Jahres den Weg zurück in die Heimat. Die Voraussagen beinhalten nichts Gutes: American Football? Wohl kaum noch. Aber da kannte man den damals 26-Jährigen nicht. „Der hat uns damals schon gesagt, dass er zurückkommt“ so Krusche. „Geglaubt haben wir, da bin ich ehrlich, daran nicht.“
Doch Fletcher belehrt alle eines Besseren. Im Frühjahr schickt er ein ärztliches Bulletin nach Minden, in dem ihm erlaubt wird, wieder Kontaktsport betreiben zu können. „Wir haben das aber immer noch nicht geglaubt. Vor einem Jahr hatten wir ihm gewünscht, dass er überhaupt wieder würde richtig laufen können. An Sport haben wir nie gedacht“, so der Sportdirektor.
Der war von der Aussage der amerikanischen Ärzte ebenso überrascht, wie Headcoach Phil Gamble und Mannschaftsarzt Dr. Ulrich Grünwald. Letzter stellt den inzwischen 28-Jährigen, der Ende April wieder in Minden eintrifft, komplett auf den Kopf, untersucht ihn auf Herz und Nieren. „Angesichts der Vorgeschichte wollten und durften wir keinerlei Risiko eingehen.“ Und Doc Grünwald war selbst baff. Das Knie war so gut verheilt und stabil, dass er RayShon Fletcher grünes Licht für eine Rückkehr zu den Minden Wolves gibt. „Ich weiß, was die Wolves für mich getan haben. Da war völlig klar, dass ich zu ihnen zurückkommen werde“, so der amerikanische Import.
Am Sonntag nun feierte Fletcher sein Comeback im Wolfsrudel, wurde dabei zwar noch dosiert eingesetzt, erlebte aber eine Rückkehr wie im Traum. Im vierten Viertel beim Gastspiel der Minden Wolves bei den Troisdorf Jets stieg er höher als sein Gegenspieler und unterstrich bei seinem Catch seine exzellente Sicherheit beim Fangen des Balls – Touchdown, Wolves!
Anschließend gab es für seine Mitspieler und die Coaches kein Halten mehr. Sie stürmten in Richtung Endzone und feierten den Fletcher-Coup wie die soeben gewonnene Meisterschaft. Jeder freute sich mit dem Rekonvaleszenten, jeder gönnte ihm diesen Touchdown.
Es war der Höhepunkt in einem ansonsten eher schwachen Auftritt der American Footballer von der Weser. Konnte man sich auf die Defense gerade in brenzligen Situationen zwar wie gewohnt verlassen, so war bei den Aktionen der Offense noch viel Luft nach oben. „Da haben wir sicherlich kein gutes Spiel gemacht und werden uns mit Blick auf den Ostwestfalen-Gipfel gegen die Bielefeld Bulldogs deutlich steigern müssen“, so Sportdirektor Volker Krusche.
Am Ende gelang dem Wolfsrudel zwar ein ungefährdeter 20:0 (7:0, 7:0, 0:0, 6:0)-Sieg auf der rechten Rheinseite, das überragende Flechter-Comeback und die Pluspunkte drei und vier waren aber fast das Einzige, was zufriedenstellen konnte.
Gegen clevere Troisdorfer waren die Wolves im ersten Viertel nur ein einziges Mal mit der Offense auf dem Feld. Das dann aber gleich erfolgreich. Eine Ballübergabe auf Sven-Philipp Niermeier brachte der aus kurzer Distanz in die Endzone. Tobias Pauls erhöhte per Extrapunkt auf 7:0. Niermeier durfte am Star Wars-Tag vorher den Darth Vader-Choke „zelebrieren“, bei dem alle Mitspieler zu Boden gingen.
Im zweiten Viertel sorgte Frederic Hempelmann mit einer Interception für einen Ballgewinn, aus dem der zweite Besuch „ins gelobte Land“ entsprang. Einen 30 Yard-Pass fing Benjamin Frese in akrobatischer Manier. Inklusive PAT erhöhte Minden damit auf 14:0. Anschließend unterlief Quarterback Zach Cavanaugh eine Interception, die Troisdorf in die Redzone eindringen ließ. Allerdings hielt die Defense – wie noch zweimal – allen gegnerischen Versuchen stand, so dass es den Jets versagt blieb, aufs Scoreboard zu kommen.
Im dritten Viertel lief bei Minden kaum etwas zusammen, so dass es einzig die Hausherren war, die direkt vor der Goalline die Chance auf Punkte hatten. Doch die Defense machte ihre Hoffnungen schnell zunichte.
Im letzten Viertel kam dann besagter Auftritt von RayShon Fletcher, so dass die Partie mit dem dritten Mindener Touchdown entschieden war.
Etwas perplex waren die Wolves-Verantwortlichen aber über die Länge des Duells. Coach Reggie Henderson: „Ich habe noch nie ein Spiel erlebt, dass so schnell vorbei war, wie unsere Partie in Troisdorf.“ Manch einer war nicht böse drum.
Foto: Minden Wolves